Landesvorstand
Der Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
Bildung ist Klassenfrage
Bildung ist kein neutraler Raum. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse – und gleichzeitig einer der zentralen Orte, an denen diese Machtverhältnisse reproduziert oder durchbrochen werden können. Als Jungsozialist*innen ist unser Verständnis von Bildung untrennbar mit dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, demokratische Teilhabe und kollektive Emanzipation verbunden.
Der Zugang zu Bildung, ihre Inhalte, ihre Institutionen – sie waren zu keinem Zeitpunkt im Kapitalismus frei von Klassenzugehörigkeit, ökonomischem Zwang oder ideologischer Funktion. Die Schule des Bürgertums war nie für alle gedacht. Der „Aufstieg durch Bildung“, wie ihn sozialliberale Reformpolitik versprach, blieb und bleibt für viele eine leere Floskel – solange Herkunft, Wohnort, Einkommen der Eltern oder der Pass über die Chancen im Bildungssystem entscheiden.
Bereits Karl Marx erkannte, dass die Form, in der Bildung organisiert wird, direkt mit den Produktionsverhältnissen und der Reproduktion der Arbeitskraft zusammenhängt. Bildung, so wie sie im Kapitalismus existiert, dient nicht vorrangig der Entwicklung des Menschen zu einem selbstbestimmten Subjekt, sondern primär der Funktionalisierung für die Bedürfnisse des Marktes. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung bedient sich eines Bildungssystems, das soziale Ungleichheit nicht nur abbildet, sondern in ihrer Struktur verfestigt – und dabei die Illusion von Leistungsgerechtigkeit aufrechterhält.
Daher ist für uns als Jusos klar: Das Ziel unserer Bildungspolitik kann nicht bloß sein, die „Durchlässigkeit“ des bestehenden Systems leicht zu erhöhen. Wir wollen ein radikal anderes Verständnis von Bildung – als öffentliches Gut, als Voraussetzung für gesellschaftliche Gleichheit und als zentrales Element demokratischer Selbstbestimmung. Bildung muss die Freiheit schaffen, sich frei zu entwickeln – unabhängig von Kapital, Klasse oder Herkunft.
Das demokratische Bildungsversprechen, wie es etwa in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg als Teil der sozialstaatlichen Verfasstheit eingeführt wurde, ist heute mehr denn je unter Druck. Spardiktate, Föderalismuschaos, Leistungsdruck und Personalmangel verhindern echte Chancengleichheit. Frühkindliche Bildung – also das, was in Kindertagesstätten geleistet wird – ist dabei oft am stärksten betroffen: schlecht finanziert, unterbewertet, mit einem historisch patriarchalen Blick als „Betreuung“ statt als Bildung abgetan.
Dabei ist längst belegt, dass die ersten Lebensjahre entscheidend für den Bildungserfolg und die soziale Teilhabe im gesamten weiteren Lebensverlauf sind. Wer hier investiert, fördert nicht nur kindliche Entwicklung – sondern schafft die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft. Frühkindliche Bildung ist kein „Nice-to-have“, sondern die Basis für ein solidarisches Gemeinwesen. Jede Kita, jede Erzieher*in, jede Stunde, in der ein Kind gehört, gefördert und ernst genommen wird, ist gelebte Demokratie – oder eben ihr Gegenteil, wenn Ressourcen fehlen.
Deshalb sagen wir: Die Forderung nach einer guten, gerechten und für alle zugänglichen frühkindlichen Bildung ist kein technischer Reformvorschlag – sie ist Klassenpolitik. Wer Bildung für alle will, muss Strukturen angreifen, die Ungleichheit legitimieren. Wer frühkindliche Bildung stärkt, bricht mit der Tradition, dass der Start ins Leben von Geldbeutel und Geburtsort abhängt. Wer für gerechte Kita-Finanzierung kämpft, kämpft gegen einen neoliberalen Staat, der Verantwortung abschiebt und Ungleichheit verschleiert.
Für uns ist klar: Wir kämpfen für ein Bildungssystem, das auf Solidarität, Gerechtigkeit und Emanzipation basiert – und wir beginnen dort, wo Bildung beginnt: in der Kita. Hier entscheidet sich, ob das Versprechen der Gleichheit ein leeres bleibt oder endlich eingelöst wird.
Was in der Kita beginnt, setzt sich in der Schule fort – allerdings meist nicht als gerechter Bildungsweg, sondern als sozial selektiver Pfad. Das deutsche Schulsystem ist geprägt von einem historischen Erbe, das Bildung als Mittel zur Sortierung und Disziplinierung versteht – nicht zur Befähigung und Befreiung. Noch immer entscheidet die soziale Herkunft mehr über den Schulabschluss als Leistung oder Begabung. Kinder aus einkommensarmen oder nicht-akademischen Familien, Kinder mit Behinderungen, Rassismuserfahrungen oder ohne deutschen Pass haben strukturell schlechtere Chancen im Bildungssystem – und zwar in jedem Bundesland, in jeder Klassenstufe.
Die Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems – ein Relikt des wilhelminischen Obrigkeitsstaates – dient bis heute der Festschreibung von Klassenverhältnissen. Was als „Begabtenförderung“ getarnt ist, ist in Wirklichkeit eine tief verankerte Hierarchie, die Aufstieg verspricht, aber systematisch aussortiert. Der sogenannte „Leistungsgedanke“ in der Schule verkennt, dass Leistung nie unabhängig von sozialen Voraussetzungen entsteht. Er produziert individuelle Schuldgefühle statt kollektiver Kritik – und verschleiert damit die strukturelle Ungleichheit, die Bildungschancen von Beginn an prägt.
Auch aus historisch-materialistischer Perspektive ist klar: Die Schule im Kapitalismus ist nicht nur Ort der Wissensvermittlung, sondern vor allem der Reproduktion von Verwertbarkeit. Sie erzieht zur Anpassung an Lohnarbeit, zur Verinnerlichung von Konkurrenz, zur Einübung von Disziplin. Gleichzeitig werden emanzipatorische Inhalte – kritisches Denken, politische Bildung, demokratische Praxis – marginalisiert oder in symbolische Randbereiche verbannt.
Wir stellen dem ein anderes Bildungsverständnis entgegen. Schule muss ein Raum der Befähigung zur Mündigkeit sein. Sie muss Kinder und Jugendliche ermutigen, die Gesellschaft, in der sie leben, zu hinterfragen – und nicht nur zu funktionieren. Sie darf nicht länger nach ökonomischer Verwertbarkeit sortieren, sondern muss sozialen Ausgleich schaffen, individuelle Potenziale fördern und demokratisches Handeln erlebbar machen.
Das bedeutet konkret: Wir brauchen eine gemeinsame Schule für alle – ohne Selektion, ohne Konkurrenz, ohne Notendruck. Eine Schule, die solidarisch ist, inklusiv, demokratisch und offen für alle Lebensrealitäten. Eine Schule, in der Ganztagsbildung nicht Aufbewahrung meint, sondern Zeit für Beziehung, Kultur, Austausch und Persönlichkeitsentwicklung schafft. Und eine Schule, in der Lehrer*innen endlich die Ressourcen, die Zeit und die Anerkennung bekommen, die sie verdienen.
Der Umbau des Schulsystems ist keine rein pädagogische Frage, sondern ein politischer Konflikt um Macht, um Gerechtigkeit und um die Frage, wem Bildung gehört. Deshalb kämpfen wir für ein Bildungssystem, das nicht sortiert, sondern stärkt. Nicht formt, sondern fördert. Nicht anpasst, sondern ermächtigt.
Wir fordern deswegen von der SPD-Landtagsfraktion sowie den SPD-geführten Landesministerien:
- Eine Schule für alle
Wir fordern die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems in Brandenburg. Statt früher Selektion setzen wir auf eine integrierte, gemeinsame Schule für alle Kinder bis mindestens zur 10. Klasse. Bildung darf nicht sortieren, sondern muss befähigen. Die Gemeinschaftsschule muss zum Regelschulmodell in Brandenburg werden.
- Bildung nach Bedarf, nicht nach Wohnort
Wir fordern einen landesweiten gerechten Ressourcenausgleich zwischen Schulen – insbesondere zur Förderung von Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen und ländlichen Regionen. Schluss mit Bildungsungleichheit durch Standortpolitik! Es braucht eine bedarfsorientierte Verteilung von Lehrkräften, Schulsozialarbeit, Ausstattung und Förderung. In Brandenburg soll zukünftig für alle Schularten das Wohnortprinzip gelten. Wie im Bayerischen Sprengel-System sollen Schüler*innen künftig die für ihren Einzugsbereich zugeordneten Schulen besuchen. Mit diesem System soll ein schulorganisatorischer Beitrag zu mehr Chancengleichheit gelegt werden. Das Sprengel-System trägt dazu bei, dass alle Schüler*innen einer Region Zugang zu hochwertiger Bildung vor Ort erhalten. Es reduziert die Wahlmöglichkeiten zu verschiedenen Schulen und stellt eine gleichmäßigere Verteilung der Schüler*innen auf Schulen in einem bestimmten Bereich sicher.
- Inklusive Bildung konsequent umsetzen
Inklusion darf kein Randthema sein. Wir fordern den Ausbau inklusiver Schulkonzepte mit ausreichender personeller, räumlicher und konzeptioneller Ausstattung. Kinder mit Behinderungen, mit Förderbedarfen oder aus marginalisierten Gruppen haben ein Recht auf gemeinsame Bildung mit allen – diskriminierungsfrei, barrierearm und selbstbestimmt.
- Demokratie lernen – demokratisch leben
Wir fordern verbindliche Demokratiebildung an allen Schulen. Schüler*innen müssen Mitspracherechte in Schulentwicklung, Curricula und Alltag erhalten – über Schüler*innenvertretungen hinaus. Politische Bildung braucht Zeit, Raum und Ressourcen, um Jugendliche zu kritischen, handlungsfähigen Subjekten zu machen – nicht zu angepassten Leistungsträgern.
- Gute Arbeit in der Schule – für alle pädagogischen Fachkräfte
Gute Bildung braucht gute Arbeitsbedingungen. Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und weiteres pädagogisches Personal müssen besser bezahlt, ausreichend fortgebildet und langfristig entlastet werden. Wir fordern kleinere Klassen, mehr Vorbereitungszeit, multiprofessionelle Teams und die Entlastung von Verwaltungsaufgaben.
Empfehlung der Antragskommission: