1/I/2022 Im Osten geht die Sonne auf! – Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West

AntragstellerInnen:

Landesvorstand

Der Bundeskongress möge beschließen:

Der SPD- Landesparteitag möge beschließen:

Der SPD- Landtagsfraktion möge beschließen:

Im Osten geht die Sonne auf! – Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West

Die Deutschen in Ost wie West haben, in 30 Jahren, gemeinsam ein ganzes Land strukturell umgebaut und modernisiert. Die Bürger*innen in Ostdeutschland nach der „Wende“ in individueller Freiheit und Demokratie – die Meisten auch in Wohlstand mit sozialer Teilhabe. Das ist eine starke Leistung. Und dennoch ist die Einheit unseres Landes auch über 30 Jahre nach der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR noch immer nicht vollendet. Noch immer liegt die ostdeutsche Wirtschaftskraft deutlich hinter der im Westen Deutschlands. Und noch immer bestehen tiefe strukturelle Probleme. Der Landesverband der Jusos Brandenburg fordert die SPD-geführte Bundesregierung auf, die Wirtschafts- und Innovationskraft Ostdeutschlands weiter stärken und die Lebensverhältnisse weiter anzugleichen. Die SPD-geführte Landesregierung soll diesbezüglich ihren Einfluss geltend machen. Es gilt, die sozialen Spannungen zu überwinden und die hohe Arbeitslosigkeit - vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit - zu bekämpfen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands muss Antworten auf die demografischen Herausforderungen geben. Ostdeutsche Länder brauchen weiterhin Mittel für Investitionen in Bildung, Forschung, Infrastruktur und vor allem die Daseinsvorsorge. Langfristig brauchen wir eine erneuerte Idee der sozialen Einheit Deutschlands. Das betrifft nicht nur Ost und West, sondern unabhängig von der Himmelsrichtung auch das Gefälle zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen. Wir stehen zu dem Leitbild, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu schaffen. Jede Region hat ihre eigenen Stärken, aber alle müssen eine Chance auf Entwicklung finden.

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung trifft bereits einige Maßnahmen, die eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West anstreben. Sie umzusetzen und auf ihre Umsetzung hinzuwirken, hat für uns eine besonders hohe Priorität. Ferner fordern wir die rasche Umsetzung weiterer Maßnahmen, die in diesem Kontext einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse leisten werden.

  1. a) Arbeit und Soziales

In Ostdeutschland bestehen besondere Voraussetzungen in der Arbeits- und Sozialpolitik, fußend auf der gebrochenen Erwerbsbiografie nach der Wende. Wir wollen dafür sorgen, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisses in der gesamten Republik hergestellt wird. Die Abkehr vom Hartz-System fördert hier die Vertrauensbildung in die SPD.

Die neuen Bundesländer sind gezeichnet von einem stärkeren demographischen Wandel, als dies in den westlichen Bundesländern der Fall ist. Hinzu kommt eine Flucht in die Städte (bzw. deren Speckgürtel) von jungen Menschen und jungen Familien. Zwar wird einem Entgegenwirken dieser Entwicklung, insbesondere in Brandenburg in den letzten Jahren immer mehr Rechnung getragen, dennoch: je weniger junge Menschen in einer Region leben, desto unattraktiver ist es für Unternehmen, sich dort anzusiedeln. Hier besteht für uns eine weitere Verpflichtung den ländlichen Raum attraktiver zu machen und dem vielerorts angestrebten Strukturwandel Rechnung zur tragen. Dumping-Löhne im Osten darf es nicht mehr geben und die Menschen dies aus Alternativlosigkeit heraus akzeptierten müssen wir unterstützen. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt für uns auch weiterhin: Die Lohnangleichung zwischen Ost und West muss endlich vollendet werden. Hierbei muss auch die Wochenarbeitszeit Bestandteil der Debatte sein. Es kann nicht sein, dass quer durch alle Branchen in Ostdeutschland mehr gearbeitet wird als im Westen und dabei ein geringer Lohn gezahlt wird. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, nicht die negativen Effekte des Angleichungsprozesses zu verstärken: Der Gender-Pay-Gap in Ostdeutschland wird langsam größer und gleicht sich dem Westen an.

Wir fordern den Parteivorstand und alle Gliederungen der SPD daher auf, die Gewerkschaften als Vorfeldorganisation für bessere Arbeitsbedingungen auch öffentlich wieder stärker zu unterstützen. Denn die Angleichung der Arbeitsbedingungen in Ost und West ist auch Aufgabe der Arbeitnehmer*innen. Wir müssen sie aber dabei unterstützen: Die Politik der SPD beruht auf der Mündigkeit der Bürger*innen und muss sie zu stärkeren Engagement ermutigen.

Die Tarifbindung insgesamt muss gestärkt werden: Die Möglichkeit zur Mitgliedschaft in Arbeitgeber*innen-Verbänden ohne Tarifvertrag fordern wir abzuschaffen. Auch wollen wir die Hürden für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen deutlich absenken. Schließlich muss die Vergabe öffentlicher Aufträge in allen Bundesländern und Kommunen an einen vernünftigen Vergabemindestlohn gekoppelt sein.

Essenziell für die Strukturentwicklung des Ostens ist, dass sich die Politik stärker für die Ansiedlung von Industrie in Ostdeutschland einsetzt. Wir begrüßen, dass Bundeseinrichtungen in den kommenden Jahren gezielt in Ostdeutschland geschaffen werden sollen, wobei bei den Neueinstellungen gezielt Menschen vor Ort bevorzugt werden sollen.

  1. b) Kampf gegen die Abwanderung aus dem Osten

Gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen bedeutet auch, Angebote für junge Menschen vor Ort zu schaffen.

Mit den Folgen der verpfuschten Wissenschaftsreform kämpft der Osten Deutschlands noch heute. Professor*Innen und Wissenschaftler*Innen ostdeutscher Universitäten konnten aufgrund von institutionellen Hemmnissen nur selten Weltruf erlangen.

Seit nun mehr als 20 Jahren erleben wir einen Trend des „Brain Drains“ ostdeutscher Bundesländer. Junge, gut ausgebildete Absolvent*innen wandern noch immer in westliche Cluster-Regionen ab, weil einige ostdeutsche Städte ihnen keine mit dem Westen vergleichbare Perspektive bieten können. Insbesondere in Brandenburg verlieren wir dadurch - laut einer Erhebung von Studitemps - jedes Jahr ungefähr 57 von 100 Absolventen einer Hochschule an andere Bundesländer. Dieser Verlust kostet Brandenburg jährlich 203 Millionen €, wenn die Ausgaben für die Studierenden mit den Abwanderern verrechnet werden.

Dem entschieden entgegenzuwirken ist unsere Pflicht als Jusos Brandenburg. Unternehmen und Länder müssen um die zukünftigen Fachkräfte werben, während sich diese noch in der Ausbildung befinden! Die Bindung zur Ausbildungsregion muss früh geschaffen werden, sodass die Angebote für Absolventen Anklang finden.

Wir unterstützen eindeutig Versuche, ostdeutsche Regionen durch und mit Wissenschaft weiterzuentwickeln. Exzellenzförderung, die in Deutschland nur denjenigen Hochschulen etwas nützt, die sich schon jahrhundertelang beweisen konnten, lehnen wir ab. Stattdessen müssen Forschungsinstitute dort angesiedelt werden, wo sie die Regionen in Kooperation mit ansässigen Unternehmen und Initiativen nachhaltig und gesund prägen können.

Bereits vorhandene Fachhochschulen müssen finanziell gestärkt und Abschlüsse angeglichen werden. Komplementär ist der Ausbau essenzieller Infrastruktur eine notwendige Investition. Insbesondere durch den industriellen Strukturwandel ist es für den Osten Deutschlands besonders wichtig, sich Alleinstellungsmerkmale aufbauen zu können.

Zudem müssen Bund, Land sowie die Kommunen mit vereinten Kräften daran arbeiten, allen  jungen Menschen das Wohnen in für sie passenden Verhältnissen zu ermöglichen. Dazu müssen im gesamten Land mehr Mietwohnungen, auch in kleineren Größen, geschaffen und zu bezahlbaren Preisen angeboten werden.

  1. c) Organisationspolitik

Gerade in unseren ostdeutschen Landesverbänden wird die ehrenamtliche Arbeit von einer verhältnismäßig eher wachsenden Anzahl von Jusos getragen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass diese zumeist auch unter Doppel- oder Dreifachbelastung stehen, wenn die Arbeit in den SPD-Strukturen und eventuelle kommunale Mandate hinzutreten. Gerade unter diesen Voraussetzungen sind hauptamtliche Juso-Strukturen zwingend erforderlich, um eine kontinuierliche jungsozialistische, feministische und antifaschistische Arbeit zu gewährleisten. Es muss dafür gesorgt werden, dass für die SPD-Landesverbände diese Strukturen finanziell stemmbar sind. Folgerichtig fordern wir den Parteivorstand auf, finanzielle Hilfen für die Landesverbände, um die Arbeitsfähigkeit der Jusos bundesweit langfristig zu erhalten und perspektivisch auszubauen. Eine Schlüsselposition für Stärkung der Sozialdemokratie in Ostdeutschland kann und ist die Stelle des Ostbeauftragten des Parteivorstandes. Wir unterstützen diese - unsere Meinung nach essenzielle - Stelle als starke politische Stimme für die ostdeutschen Perspektiven in den Debatten innerhalb der SPD und der Öffentlichkeit. Wir stehen ausdrücklich zu dem in Wiesbaden beschlossenen Prozess für die Erstellung eines „Zukunftsprogramm Ost“.

Die finanzielle Situation der ostdeutschen Landesverbände der SPD ist im unmittelbaren Vergleich mit denen im Westen deutlich schlechter. Wir fordern - auch mit Blick auf die verbesserte finanzielle Situation nach der gewonnenen Bundestagswahl – dass bei der innerparteilichen Verteilung finanzieller Mittel neben der Mitgliederzahl auch weitere Aspekte stärker gewichtet werden. Zum einen sollte hierbei stärker (im Sinne einer Strukturförderung) auf die Belange von strukturschwachen Landesverbänden, Bezirken aber auch einzelnen Regionen geachtet werden. Zum anderen muss gerade bei der Unterstützung von Wahlkämpfen berücksichtigt werden, dass auch strukturschwächere Verbände dennoch erfolgreich sein können. Die Bundestagswahl 2021 hat die SPD insbesondere im Osten gewonnen - hier war der Abstand zu den Konkurrenten aus dem demokratischen Spektrum am größten. Außerdem stellt sie etwa Brandenburg seit über 30 Jahren ununterbrochen den Ministerpräsidenten. Dies muss sich auch in der finanziellen Ausstattung von Wahlkämpfen widerspiegeln!

In Ergänzung zu dem Ausbau hauptamtlicher Strukturen muss ein besonderer Fokus auf eine gute politische Öffentlichkeitsarbeit gelegt werden. Hier ist eine professionelle Social-Media-Arbeit unverzichtbar. Es muss das Know-How, an Erfahrung und an Ausstattung verbessert werden.

  1. d) Gleiche Renten in Ost und West bis 2025 – gute Renten.

Über 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung gibt es immer noch Unterschiede bei der Rente in Ost- und Westdeutschland. Der aktuelle Rentenwert Ost liegt mit ca. 94,1 Prozent weiterhin 5,9 % unter dem in Westen. Wir unterstützen die Bestrebungen der SPD-Bundestagsfraktion, dass es bis 2024 nur noch ein Rentenwert, und ab 1. Januar 2025 dann keine Unterschiede mehr bei der Rentenberechnung in Ost- und Westdeutschland gibt: Das ist sozial gerecht, entspricht dem Wunsch eines Großteils der Bevölkerung und stärkt den Zusammenhalt in unserem Land. Wir wirken darauf hin, dass dies auch tatsächlich umgesetzt wird.

Die erfolgte Angleichung der Rentenberechnung in Gesamtdeutschland war ein wichtiger Schritt in Bezug auf die Angleichung zwischen Ost und West. Aber wir wissen: ohne gute Arbeit gibt es keine gute Rente. Eine Folge des im Osten niedrigeren Lohnniveaus ist, dass auch bei gleicher Berechnung die Rentner*innen in Ostdeutschland am Ende ihrer Arbeitszeit im Regelfall weniger Geld zur Verfügung haben werden. Betriebsrenten oder kapitalgedeckte Modelle wie Riester helfen hier wenig. Eine gerechtere Rentenpolitik ist umlagefinanziert. Sie muss aber ein Leben im Alter über dem Existenzminimum und in Würde ermöglichen. Ziel muss die lebensstandartsichernde und armutsverhindernde Rente sein. Respekt vor der Lebensleitung Ostdeutscher ist hier essenzieller Bestandteil der Betrachtung der ostdeutschen Rentenpolitik. Gerade letzteres wird nur zu erreichen sein, wenn man weiterhin die Grundsicherung und die Vermögensfreibeträge deutlich anhebt und Hürden für die Beantragung senkt.

Beschluss

Annahme

Änderungsanträge

  • Ä zum 1/I/2022

    AntragstellerInnen:

    Jusos Potsdam

    Der möge beschließen:

    Seite 2, Zeile 26 - 27, Ändern

    Der Antrag 1/I/2022 des Landesvorstandes möge wie folgt geändert werden:

    Seite 2 Zeilen 26 und 27 sollen wie folgt ergänzt werden:

    „Die Abkehr vom Hartz-System fördert hier die Vertrauensbildung in die SPD. Obwohl die Einführung des Bürger*innengeldes einen wichtigen und unbedingt begrüßenswerten Schritt in Richtung eines funktionierenden Sozialstaates darstellt, stellen wir fest, dass die Reform an noch zu vielen Punkten des menschenfeindlichen Hartz-Systems festhält und noch viel zu wenig weitgehend ist, als dass sie ein menschenwürdiges Leben für alle Bürger*innen gewährleisten könnte. Wir fordern die ausnahmslose Abschaffung aller Sanktionen, eine deutliche Steigerung der Regelsätze, bei der wir uns der Forderung des Sozialverbandes Deutschland nach mindestens 650 Euro anschließen, eine Erhöhung der Schonvermögen und einen grundsätzlichen Wandel im Umgang mit und der Ansprache von Bürger*innengeldbezieher*innen und –beantragenden.“

    Beschluss:

    Annahme